Das Ende vom Lied

                  






Lesepassage aus seinem neuen Buch
 

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Horst Becker hatte zwei erwachsene Söhne. Einer vollendete gerade das Abitur, der andere besuchte seit einem Jahr die Universität. Keiner von beiden interessierte sich für den Polizeidienst. »Schließlich haben sie ihren Vater als abschreckendes Beispiel«, sagte ihre Mutter. Sie sagte es lachend. Horst Becker sah für Gelächter keinen Anlaß.
Er war seit 1974 bei der Polizei, hatte vom Polizeihauptmannanwärter bis zum Kriminalhauptkommissar etliche Berufsfelder im Dienste der öffentlichen Ordnung kennen gelernt und war ihren Anforderungen immer gerecht geworden. Zuerst in Bochum, später in Essen und schließlich in Wiesbaden. Er war ein guter Polizist und er wußte das. Auch seine Kollegen wußten es. Ob seine Arbeitgeber es wußten, das war nicht ganz klar.
Die neue Arbeitswoche begann für Horst Becker mit der Suche nach einem möglichen Zeugen im Mordfall Woijciech Walery Korzeniowski. Karel Szymanski wohnte laut Einwohnermeldeamt in der Hans-Böckler-Straße im Schelmengraben, einer Hochhaussiedlung westlich der Innenstadt. Ebenso wie die Betonburgen im Gräselberg und in Klarenthal war diese Siedlung in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus dem Boden gestampft worden, um dem Expansionsdrang der schnell wachsenden Hessischen Landeshauptstadt als Mittelpunkt des wirtschaftlich bedeutenden Rhein-Main-Gebiets gerecht zu werden. Und ebenso wie im Gräselberg und in Klarenthal hatten sich hier vor allem Zuwanderer, Arbeiter und Arbeitslose angesiedelt.
Becker parkte den Dienst-BMW vor der ermittelten Adresse und lief den Fußweg zum Haus hinauf. Die Reihe der Klingelschilder neben der Eingangstür präsentierte sich als babylonisches Namensquiz. Handschriftliches neben Gedrucktem und mehrfach Überklebtem. Becker drückte den Knopf neben jenem Schild, das am meisten Ähnlichkeit mit dem Namen Szymanski aufwies. Die Wohnung lag im obersten Stockwerk und es schien jemand zu Hause zu sein. Der Türöffner summte.


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Dieser Text ist ein kurzer Einblick aus dem Vortrag.
Die Vorträge der Literaturveranstaltung werden zu einer Dokumentation zusammengefasst.

 

  
 Alexander Pfeiffer