Bosnien - Zehn Jahre Danach 

                  

"... um Bosnien nicht zu vergessen"

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Damals, 1990, als Selma zum vorläufig letzten Mal nach Jugoslawien fuhr, ahnte sie nicht, das sich ihre Heimat kurz vor dem Zusammenbruch befand. Dort empfing sie ein Schweigen ihrer Familie, das schwer zu erklären war. Die übliche herzliche Begrüßung bei Wiedersehen blieb aus. Eine unerträgliche Stummheit und die leisen Stimmen verunsicherten Selma so sehr, dass sie anfing zu schreien, um sich zu vergewissern, dass kein Todesfall in ihrer Familie eingetreten war. Aber was sonst? Die Geschwister ahnten etwas, soviel war gewiss. Im Elternhaus wurde nur noch leise gesprochen. Die Radio- und Fernsehnachrichten beschränkten sich auf Meldungen aus dem Ausland. *ber die Innenpolitik Jugoslawiens und über kulturelle Ereignisse wurde nichts gesendet. Seit Tagen laufen auf allen Sendern die gleichen Meldungen, erzählte eine von Selmas Schwestern leise.

Die Luft roch nach Blei, und niemand wollte es wahr haben. Zweifel am Frieden nistete sich ein. Bosnien spürte die drohende Isolation.

Im Sommer 1991 brach der Krieg aus, erst in Slowenien, dann in Kroatien. Allzu eilig vollzog die BRD die Anerkennung beider als unabhängige Staaten. Im April 1992 schlugen die ersten Granaten in Bosnien ein. Grenzen wurden geschlossen. Für Jugoslawen, die im Ausland lebten, war plötzlich eine Heimreise nicht mehr möglich.

Die Flüchtlingswelle erreichte Hamburg und damit auch viele Hamburger Familien, die Vertriebene und Flüchtlinge in ihren privaten Häusern und Wohnungen aufnahmen. Allein in Selmas Haus wurden zuerst zwölf Menschen untergebracht, darunter sieben Kinder. Ihre Flucht hatte endlich ein Ende.

Der Krieg dauerte fünf Jahre. Selma war von ihren Geschwistern abgeschnitten. Keine Anrufe, keine Briefe. Sie lebte in Hamburg und fühlte sich wie verbannt. Oft fragte sie sich mit welchem Recht sie jeden Morgen ohne Granatenhagel erleben durfte, zweitausend Kilometer entfernt von dem Unheil, dem ihre Heimat ausgesetzt war.

Bosnien und Herzegowina wurde mitten im Krieg als unabhängige Republik anerkannt.

Doch an den Fronten wurde weiter bekämpft. Konzentrationslager existierten immer noch, die Vertriebenen lebten unter Zelten, in Luftschutzkellern. Noch immer starben täglich Menschen.

Ihr Wunsch, die Familie wiederzusehen, wurde von Tag zu Tag größer.

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Dieser Text ist ein kurzer Einblick aus dem Vortrag.
Die Vorträge der Literaturveranstaltung werden zu einer Dokumentation zusammengefasst.





Emina Kamber, Reimer Eilers, Uwe Friesel und Simo Esic trugen ihre in Bosnien entstandenen Texte zusammen und veröffentlichten das Buch "... und Bosnien nicht zu vergessen"/ Hrsg. Emina Kamber und Uwe Friesel.


Ende des 20. Jahrhunderts erschütterte ein blutiger Bürgerkrieg den Balkan. Bis heute ist das friedliche Zusammenleben der serbischen, kroatischen und bosnisch-muslimischen Volksgruppen nicht dauerhaft geregelt. In dieser Situation trafen sich sechs deutsche und zwei bosnische Autoren auf der kroatischen Halbinsel Peljesac bei Dubrovnik, um über das Thema „Das Fremde in uns“ nachzudenken und darüber zu schreiben. 

Ausflüge ins benachbarte Bosnien hatten nachhaltigen Einfluss auf ihre Texte. Sie wurden auf zusätzlichen Treffen in Hamburg weiterentwickelt und schließlich zu einem Buch vereint.


  
 Emina Cabaracdic Kamber