Die Belagerung Sarajevos - Ilidza

                  

 "... um Bosnien nicht zu vergessen"

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Stari Most, alte Brücke. Ich sitze auf der Brüstung der Koshi  -Mehmed - Pascha - Moschee, blicke hinab auf die türkisfarbene Neretva, die sich träge unter mir vorbeischlängelt und fünfzig Meter weiter auf Stari Most trifft, weltberühmte Brü­cke von Mostar, die ich soeben, im Strome der Touristen, von der kroatischen Seite überquerte. Im Brückenmuseum habe ich die Bilder der sinnlosen Zerstörung der Brücke betrachtet. Als ich am letzten Bild der Bilderfolge anlangte, war das Gefühl, das mich erfüllte, Traurigkeit. Inzwischen ist Stari Most in ihrer ursprünglichen Form wieder hergestellt und mit den sie umgebenden Gebäuden von der Unesco als Weltkulturerbe einge­tragen


Ich bin das erste Mal in Bosnien. Bosnien-Herzegowina. Vor ungefähr 15 Jahren, erinnere ich mich, waren die Medien plötz­lich voll mit diesem Namen. Damals, als Jugoslawien auseinan­der fiel.

Jugoslawien kannte ich nur von einer Fahrt auf dem berüch­tigten Autoput im Jahre 1981 nach Thessaloniki. Die Fahrt war so fürchterlich, wie von Freunden vorher angekündigt. Slowe­nien im frühen Morgengrauen, Zagreb, da war der Mittag schon vorüber und abends Belgrad. Am nächsten Tag Skopje und dann endlich Griechenland. Das ist das, woran ich mich noch erinne­re. War ich damals durch Bosnien gekommen? Nein, Bosnien hatte ich vorher noch nie gesehen.

Was ich von Jugoslawien noch kannte, war der eigene sozia­listische Weg, mit dem sich Tito von der Hegemonie des War­schauer Paktes abhob, und ich hatte Sympathie dafür im Kalten Krieg. Die vereinzelten Presseberichte, wonach Jugoslawien eine fragile Angelegenheit war, und keineswegs befriedet, nahm ich, wie andere Nachrichten aus dem Ausland, hin. Ansonsten kannte ich einige Jugoslawen, die hier in Deutschland lebten. 

Das war es, bis zu dem Zeitpunkt, als die einzelnen Glieder der föderalen Republik zurück in ihre Geschichte drängten. Un­erbittlich in ihrem Anspruch und gnadenlos denjenigen gegen­über, die gestern noch glaubten, ihre Brüder und Schwestern zu sein, lehrten sie mich eine neue Landkarte des Balkans. 

Heute, zehn Jahre nach Ende des Bosnienkriegs, bin ich, mit anderen Künstlern aus Deutschland, hierher gereist. Emina, ei­ne bosnische Kollegin aus Hamburg, hat zu einer Künstlerkolo­nie eingeladen. Wir Schriftsteller unter den Künstlern haben uns vorgenommen, darüber zu schreiben. Zehn Jahre danach. The­ma: Das Fremde in uns.

Fremd, begrifflich das Gegenteil von bekannt, bezeichnet Personen, Dinge, Zustände, zu denen ich mich nicht bekenne, und Fremdes verliert seinen Zustand, wenn ich mich zu ihm be­kenne. Das bedeutet, fremd kann ein unbeständiger Zustand sein, bleibt aber, wenn ich es will, beständig. Ob etwas also fremd ist, liegt in meiner eigenen Wahrnehmung und entzieht sich völlig der Anschauung anderer. Insofern meint Das Fremde in mir nicht, was in mir fremd ist, denn das ist gar nichts, sondern was mir fremd vorkommt, was ich als fremd wahrnehme.

So blieb mir, als ich in Mostar im Brückenmuseum die Bilderfolge von der Zerstörung der Brücke betrachtete, dieses Geschehen fremd, wie jede kriegerische Auseinandersetzung und Zerstörung. Ich selbst war glücklicherweise solchem Grauen nie ausgesetzt. Was mich jedoch bestürzte und berührte, war das ohnmächtige Bemühen der Bosnier, ihre Brücke zu schützen. Sie hatten den von den Bergen feuernden Kanonen der Kroaten nichts entgegenzusetzen und versuchten, mit alten Autoreifen, die sie zum Schutz über die Brückengeländer hängten, den Beschuss zu mildern. Mit weißen Fahnen gaben sie zu erkennen, dass die Brücke nicht aus kriegstaktischen Gründen zerstört zu werden bräuchte. 

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Dieser Text ist ein kurzer Einblick aus dem Vortrag.
Die Vorträge der Literaturveranstaltung werden zu einer Dokumentation
zusammengefasst.





Emina Kamber, Reimer Eilers, Uwe Friesel und Simo Esic trugen ihre in Bosnien entstandenen Texte zusammen und veröffentlichten das Buch "... und Bosnien nicht zu vergessen"/ Hrsg. Emina Kamber und Uwe Friesel.


Ende des 20. Jahrhunderts erschütterte ein blutiger Bürgerkrieg den Balkan. Bis heute ist das friedliche Zusammenleben der serbischen, kroatischen und bosnisch-muslimischen Volksgruppen nicht dauerhaft geregelt. In dieser Situation trafen sich sechs deutsche und zwei bosnische Autoren auf der kroatischen Halbinsel Peljesac bei Dubrovnik, um über das Thema „Das Fremde in uns“ nachzudenken und darüber zu schreiben. 

Ausflüge ins benachbarte Bosnien hatten nachhaltigen Einfluss auf ihre Texte. Sie wurden auf zusätzlichen Treffen in Hamburg weiterentwickelt und schließlich zu einem Buch vereint.


  
 Gino Leineweber